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Einer fehlt 176 Seiten, Piper 2024 Das Jahr ist wieder alt geworden. Ein Windstoß wird in absehbarer Zeit, in Tagen, nicht Wochen, die letzten leuchtenden Farben aus dem Bild wischen und nur graubraune Flicken eines Teppichs übriglassen. Stare, Störche und Graugänse sind vorbeigezogen, das müde Grün der Weinberge und Rapsfelder mischt sich mit dem Nebel und wartet ergeben auf die Erstarrung des Winters. Um von dieser Erstarrung nicht erfasst zu werden, träumt sich Paul in den Süden, nach Apulien, ins Veneto, nach Rom. Zu träumen ist ihm selbstverständlich, er hat zwei Drittel seines Lebens jenseits der Gegenwart verbracht, denn als professioneller Leser war er immer im eigenen Kopf unterwegs an Orten, die er sich vorstellen musste, in Leben, die er selbst nicht leben konnte, und an Grenzen, die man sonst allenfalls im Schlaf überschreitet, wenn das Gehirn die aberwitzigsten Dramen, Komödien oder Seifenopern inszeniert. Und seit einem Jahr auch in der Erinnerung. |
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Sieben Tage Sommer 160 Seiten, Piper 2022 Harmonie Lieber Max, mich umgibt der Duft von Oleander und Jasmin, und die Anspannung von der langen Autofahrt lässt langsam nach. Seit einer halben Stunde bin ich jetzt hier, sitze auf der Terrasse links vom Haus und schreibe dir, weil ich so überwältigt bin, dass ich es unbedingt jemandem mitteilen muss. Du kennst das alles, es ist ein bisschen albern, dir irgendwas zu schildern, aber vielleicht freut es dich ja, diese für dich normal gewordene Schönheit mit den Augen eines anderen Menschen neu zu sehen. Vielleicht erinnerst du dich ja daran, wie es war, als du diesen Anblick zum ersten Mal gesehen hast – vielleicht warst du ja auch so hingerissen wie ich. Die Sonne wird demnächst untergehen, ein einzelner, recht unmelodischer Vogel legt sich noch tapfer ins Zeug, das Leben, die Schöpfung und den gelungenen Tag zu preisen, so kommt es mir jedenfalls vor, obwohl ich ja weiß, dass in Wirklichkeit nur die Männchen mit ihrer Stimme angeben, um die Weibchen herumzukriegen. Der liebe Satz: Psychologisch fein gestrickter Roman. Der böse Satz: Das ist das langweiligste Buch, das ich in den letzten Jahren in
die Finger bekommen habe. |
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Das Glück meiner Mutter 224 Seiten, Piper 2021 Piper Taschenbuch 2022 Wie oft hatte ich mir als Kind gewünscht, meine Mutter würde diesen kalten, schweigenden Mann verlassen, wie oft versucht, sie dazu anzustiften, aber als sie eines Tages den Mut aufbrachte, kam er mir abhanden. Ich war in Kathrin aus meiner Klasse verliebt, die mich zwar nicht beachtete, aber das würde sich ändern, wenn ich erst mit meiner Band beim Schulball aufgetreten wäre. Wir probten im Keller unseres Bassisten, dem auch die Gesangsanlage gehörte, weil sein Vater Bauunternehmer war und ihm jeden Wunsch von den Augen ablas. Mitten in More than this von Roxy Music hämmerte es an die Kellertür, und Svetlana, die Haushälterin rief mich ans Telefon. Als sie sagte, meine Mutter sei dran, rannte ich die Treppe hoch. Ich dachte, etwas Schlimmes sei passiert. Meine Mutter hatte noch nie dort angerufen. Sie lade mich zum Eis ein, sagte sie, ob sie mich nach der Probe abholen solle oder wir uns lieber in der Stadt beim Cortina treffen wollten. „Cortina“, sagte ich, um zu vermeiden, dass meine Bandkumpels
sich über ihre Zärtlichkeiten lustig machen würden.
Meine Mutter konnte ihre Hände einfach nicht bei sich lassen.
Immer musste sie an mir herumzupfen, mir durch die Haare wuscheln,
mich anfassen oder sich bei mir unterhaken. Sie war mir nicht peinlich – diese
Phase hatte ich schon hinter mir –, aber ich wollte nicht,
dass die anderen mir einen Spitznamen verpassten, der irgendwie an
einen Teddybär oder Schoßhund erinnerte. Der liebe Satz: Ich habe es mit ein paar Tränen und einem großen Lächeln
beendet. Der böse Satz: Italienreise auf Altherrenart |
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Das innere Ausland 176 Seiten, Piper 2018 Piper Taschenbuch 2019 Der Hund des Engländers verbellte auch vorüberziehende Wolken oder
Grasbüschel, die der Wind über die Straße trieb. Und er war immer
da, auch wenn sein Herrchen mit dem kleinen gelben Nissan zum Einkaufen
fuhr – der Hund versorgte die spärlich verstreute Nachbarschaft
mit immer wieder Fehlalarm. Der liebe Satz: Als Leser kann man seine Seele ganz tief eintauchen lassen, weil
sie in guten Händen ist.. Der böse Satz: (H. O. - Bielefelder) |
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Seltene Affären192 Seiten, Piper 2016 Piper Taschenbuch 2018 In der Kurve, die ich immer mit Schwung nehme, war auf einmal dieser
Roller vor mir, und ich musste bremsen, um die junge Frau darauf
nicht ins Gebüsch zu schleudern. Sie trug Jeans und ein dunkelblaues
Sweatshirt, keinen Helm, den hatte sie auf das Trittbrett gelegt.
Die Straße ist eng an dieser Stelle, ich würde erst oben in der nächsten
Biegung an ihr vorbeikommen, also schlich ich im ersten Gang hinter
ihr her und sah mir als Entschädigung für die erzwungene Trödelei
ihren Hintern an.
Der liebe Satz: ... zutiefst romantische Künstlererzählung mit metafiktionalem
Subtext ... Der böse Satz: (Barbara Möller - Die Welt) |
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Weißer Zug nach Süden144 Seiten, Piper 2015 Piper Taschenbuch 2016 Chiara steht am Fenster. In der Ebene fährt ein weißer Zug nach
Süden, weiter hinten ragen die Berge bläulich aus dem Dunst, und
der Westwind trägt ein flaches Dröhnen von der Autobahn herüber.
Der liebe Satz: Der neue Roman ist stimmig und raffiniert, und er ist perfekt
getimt. Der böse Satz: ... langweilig,
einfallslos und vorhersehbar ... |
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Die kurzen und die langen Jahre203 Seiten, Piper 2014 Piper Taschenbuch 2015 Es gibt Anblicke, von denen ich nicht weiß, ob sie mir gut- oder
wehtun, ob ich hinsehen darf oder den Blick abwenden soll, und irgendwann
habe ich den Blick abgewandt und bin beschäftigt damit, mir selbst
zu erklären, dass das eben Gesehene kein Zeichen war, keine Botschaft
an mich, sondern einfach das Leben, an dem jeder zumindest mal vorbei
kommt, falls er, wie ich, nicht mehr daran beteiligt ist. Der liebe Satz: Ein neuer Thommie Bayer ist immer ein Versprechen: auf Wahrhaftigkeit
und Melancholie, auf Lebensweisheit und eine gute, spannende Geschichte.
Und auf eine, die so noch keiner erzählt hat. Der böse Satz: Bayers Publikum, aus welchen Altersklassen es sich auch immer
rekrutiert, scheint das zu mögen.
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Vier Arten, die Liebe zu vergessen288 Seiten, Piper 2012 Piper Taschenbuch 2013 Die kleine Maschine flog durch ein Gewitter, wurde hin und her
geschlagen von Böen, sackte in Luftlöcher und schien nur mit Mühe
voranzukommen durch das immer wieder von Blitzen erleuchtete Dunkelgrau.
Michael war froh, nichts weiter im Magen zu haben als einen Espresso
und ein Stückchen Pansecco, das würde im Ernstfall (noch zwei Luftlöcher
mehr) in den Pappbecher passen, den man im Gepäcknetz am Sitz vor
ihm beim Putzen übersehen hatte. Der liebe Satz: ...nebenbei macht er seinen angeblichen Abgesang an die Liebe
zu einer Ode an dieselbe. Der böse Satz: ...vollkommene Geheimnislosigkeit, was die Sprache angeht... Vier Arten, die Liebe zu vergessen in Friedrichshafen |
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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin160 Seiten, Piper 2010 Piper Taschenbuch 2012 "Sakrament, bist du schön.“ Die weiße Katze mit den grauen
und schwarzen Flecken saß auf einem Holzstoß am Wegrand. Ich ging
unwillkürlich langsamer, um sie nicht zu erschrecken, näherte mich
bis auf etwa zwei Meter und blieb dann stehen. Wäre sie am Boden
gesessen, hätte ich mich in die Hocke begeben. Das tue ich immer,
denn der Charme von Katzen weht mich seit jeher an wie eine Botschaft
oder Ahnung, etwas das ich zwar empfange, aber nicht verstehe und
deshalb umso aufmerksamer beachte – vielleicht ist es nur das:
wenn ich eine Katze sehe, dann weiß ich, dass ich lebe. Der liebe Satz: ...ein Kennzeichen guter Literatur. Sie ist wahrhaftig. Sie stimmt,
sie ist nicht überhöht, sie verkrampft sich in keiner ideologischen
Weltsicht, sie trifft immer die richtigen Töne. Ein Meisterwerk. Der böse Satz: ...In jeder Hinsicht klein... |
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Fallers große Liebe196 Seiten, Piper 2010 Piper Taschenbuch 2012 Als ich am Morgen den Laden aufschloss, fühlte ich mich wie nach einer langen Reise, aber es war nur eine kurze Nacht, die hinter mir lag. Mich empfing der liebenswürdige Mief gebrauchter Bücher, die stolz, geknickt oder gleichgültig auf ein zweites Leben warteten. Die wollten was von mir. Ich sollte für sie da sein. Mir war ein bisschen übel und schwindlig, aber das würde sich geben. Ich musste dazu nur die Brille absetzen, das unterwegs gekaufte Sandwich essen und ein bisschen Luft hereinlassen. Es gibt Tage, da sollte man nicht vor die Tür gehen, nicht mit der S-Bahn fahren, sich nicht vom eigenen Spiegelbild in Schaufenstern erwischen lassen und vor allem nicht mit einer neuen Brille experimentieren: Nieselregen verwandelt das Sommerjackett in einen Lappen, mürrische Lehrlinge mit blondierten Haarspitzen drängen einem unschöne Musik auf, die blechern aus ihren Handys gellt, sondern grelle Gerüche ab und glotzen wie Fische durchs Glas des Aquariums unverständig in die ihnen offenbar rätselhafte Welt; im Fenster der Dessous-Boutique sah ich aus wie ein nur zufällig noch nicht ergrauter Sechzigjähriger, und das auch noch verzerrt, weil mein Gehirn noch nicht mit den stärkeren Brillengläsern zurechtkam, an die ich mich erst noch gewöhnen musste. Der liebe Satz: ...Sätze, die auch ohne Textmarker leuchten... Der böse Satz: ...dem deutlich gemachten Anspruch nach Höherem nicht gerecht... Fallers große Liebe - ein kleines Stück Lesung |
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Aprilwetter256 Seiten, Piper 2009 Piper Taschenbuch 2010
Hier ist alles, was er braucht. Hier weiß Benno wer er ist. Von neun Uhr morgens bis abends um sechs steht er hinter der Theke und macht Espresso, Cappuccino und Milchkaffee. Mehr als Gruß und Lächeln wird hier nicht von ihm erwartet; für den Text der Unterhaltung sorgen alle lieber selbst. Sie sind mit sich beschäftigt, ihren Plänen, ihren Wunden, ihrer Einsamkeit. Der sich die meisten just entronnen glauben, hierher in den Rauch und Kaffeeduft, das Stimmengewirr und Klappern von Geschirr, zu den anderen, zu ihm, ins La Storia. Sie fühlen sich unter Gleichen, aber auch wenn die Gemeinsamkeiten überwiegen – alle schlafen, essen, sehnen sich und werden sterben –, ist doch das, was sie trennt, von Gewicht: ihr Bild von der Welt. Bei Günther Jauch würde sich jeder woanders geschlagen geben. Der eine hat noch nie von Montessori gehört, die andere nicht von Eichmann, der dritte hält eine Synapse für etwas aus der Bibel, und die vierte Willy Brandt für einen Schauspieler. Natürlich kennen sie alle Einstein, Hitler und Lady Di, vielleicht auch Gandhi, Bob Dylan und Mao, aber das hilft ihrer Orientierung in der Welt und Geschichte etwa soviel, als glaube man Deutschland zu kennen, wenn man in Hamburg war. Der liebe Satz: ...auf sympatische Weise aus der Zeit gefallen... Der böse Satz: ...mit Hang zur Trivialität... |
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Eine kurze Geschichte vom Glück224 Seiten, Piper 2007 Der Anruf kam kurz nach elf.Ich hatte bis dahin schon sieben Zigaretten geraucht, trank eben den vierten Espresso und dachte darüber nach, ob ich ein Aspirin schlucken sollte. Falls mein Kopfweh von dem billigen Wein herrührte, den ich am Abend zuvor getrunken hatte, dann würde es auch so weggehen – aber wenn es am Wetter lag, der bleigrauen Wolkenwand, die sich von Westen, von Frankreich her langsam näher schob, aber partout nicht ankommen wollte, dann nähme es zu und überschritte bald den Punkt, an dem keine Tablette mehr hilft. In diesem Fall musste ich rechtzeitig gegensteuern. Schmerzmittel sind Drogen, ich gehe sparsam damit um, weil ich nicht in Abhängigkeit geraten will. Nicht auch noch davon. Alkohol, Zigaretten und Kaffee, das ist genug. Laster braucht der Mensch, die unterscheiden ihn vom Roboter, aber man muss auch seine Grenzen kennen... Der liebe Satz: ...Bayer beweist, welche Suchtgefahr in ihm steckt... Der böse Satz: ...Darf man so etwas Kitsch nennen? Wohl schon. |
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Singvogel203 Seiten, Piper 2005 Wie schnell sich doch die Dinge ändern. Vor weniger als drei Wochen
war ich noch ein zufriedener Pessimist in einem aufgeräumten Leben,
der glaubte, sich zu kennen, und nicht wußte, daß man auch verlieren
kann, was man nie besaß. Der liebe Satz: ...spannend, amüsant und mit Schwung. Einfach nur Klasse. Der böse Satz: ...wer gerne ZDF-Fernsehfilme sieht, wird mit dem Buch zufrieden
sein. |
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Piper Taschenbuch 2006 ISBN-13: 978-3-492-24793-1 ISBN-10: 3-492-25793-8 |
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Die gefährliche Frau231 Seiten, Piper 2004 In Wirklichkeit tut Liebe weh. Das wissen alle, aber alle träumen
weiter. Von dem Mann, dessen Leidenschaft nie versiegt, ebensowenig
wie sein Verständnis und seine Zärtlichkeit, der nach zwanzig Jahren
Ehe noch immer behauptet, er wolle jetzt, in diesem Moment, gern
wissen, was durch ihren Kopf geht. Nach zwanzig Jahren Ehe weiß er
noch immer nicht, daß es sich um Schuhe dreht, die zwar wehtun, aber
größer machen, oder darum, ob die beiläufige Bemerkung einer Bekannten
vielleicht eine versteckte Gemeinheit enthielt. Er sieht gut aus,
genießt hohes Ansehen und hat nur Augen für sie. Der liebe Satz: Ein erzählerisches Kabinettstückchen, das selbst abgebrühte Geister
nicht kalt lässt. Der böse Satz: ...die Geschichte ist langweilig und der Schreibstil etwas für
Nichtleser. |
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Das Aquarium335 Seiten, Eichborn 2002 Ich war nach dem Unfall ein anderer Mensch. Meine Freundschaften
gingen an Textmangel ein. Ich hatte das Plaudern verlernt und antwortete
entweder gar nichts oder das Falsche, sagte irgendwas viel zu Großes
auf eine kleine Bemerkung, und alle verstummten. Um nach peinlichen
Sekunden wieder von vorn anzufangen mit dem Klangteppich aus Worten
und Sätzen, der für nichts weiter sorgen sollte als Wärme und den
ich auf einmal weder verstand noch ertrug. Wie die sinnlose Musik
in Kaufhäusern, Saunen und Toiletten. Der liebe Satz: Ein furioser Roman: abgründig, hoch spannend, brillant. Der böse Satz: Eine einzige Peinlichkeit. |
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Andrea und Marie156 Seiten, Blanvalet Taschenbuch 2001 Wie lang war das schon her? Zwei Monate? Ein Vierteljahr? Ihr letzter
lauter Streit ging um die Zeitung: wie schon so oft, sah sie den
ihr gnädig überlassenen Teil der Süddeutschen zerfleddert neben ihrem
Teller liegen, als wäre dies der Platz für den Müll, und Marie explodierte: “Soll
ich das jetzt anzünden, oder was?” Der liebe Satz: ...fehlt... Der böse Satz: ...auch... |
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Der langsame Tanz195 Seiten, Eichborn 1998 Befreit? Aber wovon denn? Von der Zeit etwa? Blödsinn. Zeit ist abstrakt. Man wird sie nicht los, indem man eine Uhr wegwirft. Und doch, er fühlt sich so, als ginge er auf Einlegesohlen aus Luft. Vier Millimeter höher. Und wenn er sich nur selbst damit beeindruckt hat: Eine Dreihundertmarkuhr einfach so fallenzulassen war eine erlösende Tat. Den Trick merk ich mir, denkt er, im Trauerfall die Uhr in den Gully, und schon ist im Paß der Eintrag "Körpergröße" falsch. Trauerfall? Aber ohne mich. Ich werfe nur Ballast ab. Die Uhr war ein Geschenk von Marianne. Wozu sich jetzt noch mit Gewichten belasten, die sie mir angeschnallt hat? Brauchst du mich nicht, dann brauch ich deine Uhr nicht. So einfach ist das. Und so wohltuend. Nur eine Geste. Ein Symbol. Nur Imponiergehabe ohne Publikum, und doch so befreiend wie ein Zug an der Krawatte. Er hat die Uhr vom Handgelenk gestreift und sie, zwischen Daumen und Zeigefinger baumelnd, über dem nächsten Kanaldeckel der Schwerkraft überlassen. Ab in die Kloake mit Mondphase, Datum und Sekundenzeiger... Der liebe Satz: Thommie Bayer ist mit diesem sechsten Roman, seinem vielleicht
besten, selbst ein Kunststück gelungen. Der böse Satz: ...das Spiel mit der Künstlichkeit trübt das Lesevergnügen an
einer nur halb gelungenen Modelltragödie, die gleichwohl Bayers
Ruf als intelligenter Unterhalter bestätigt. |
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Der Himmel fängt über dem Boden an253 Seiten, Eichborn 1994, ISBN 3-8218-0273-1 Es ist Sommer. Der letzte meiner Kindheit. Wobei ich vielleicht
gleich dazusagen sollte: meine Kindheit war rekordverdächtig lang.
An meinen achtundzwanzigsten Geburtstag kann ich mich zum Beispiel
nur noch sehr vage erinnern - er mag so etwa fünf, sechs, sieben
lahre her sein. Jetzt, in diesem Sommer, bin ich jedenfalls kein
Schlagzeuger mehr. Und auch kein Artikelschreiber, der anfangs Schlagzeuge,
dann Schlagzeugcomputer und dann nur noch deren Software für ein
Musikermagazin testete, um schließlich von einem jungen Streber mit
Bürstenschnitt in die Anzeigenabteilung abgedrängt zu werden. Ich
schreibe auch keine Science-fiction- Geschichten mehr für einen Heftchenverlag,
und mein Taxischein vergilbt irgendwo und verwandelt sich in Staub,
aber das nehme ich nur an - ich hatte keinen Grund mehr, nach ihm
zu suchen, denn er gilt schon seit Jahren für die falsche Stadt. Der liebe Satz: In den achtziger und neunziger Jahren mit der Verve der Keun
erzählen zu können, erscheint mir ein hohes Lob. Der böse Satz: Ein bißchen Klatsch, viel Erotik, ein wenig Lebensweisheit: na,
ja. |
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Piper Taschenbuch 2005 |
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Spatz in der Hand224 Seiten, Eichborn 1992 Nur wenig wird im folgenden die Rede sein von Männern, deren hormoneller
Autopilot sich schon beim Anblick einer am Horizont wehenden blonden
Löwenmähne zuschaltet und direkt in den Steigflug geht, wenn das
Alter der Löwin noch weit von Mitte Zwanzig entfernt ist, um allerdings
unverzüglich den Absturz einzuleiten, wenn eine Brustweite unter
neunzig oder Brille ins Spiel kommt. Der hormonelle Autopilot steuert
die allermeisten. Der liebe Satz: Kann man leider nicht mehr weglegen. Der böse Satz: Ein Gottschalk der Literatur. |
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Das Herz ist eine miese Gegend260 Seiten, Rowohlt Taschenbuch 1991 Kennedy starb vor Winnetou. In einem Blaupunkt-Radio der eine und im Scala beim Bahnhof der andere. Ein Buch lag auf einer Kommode, es hieß “Der gelbe Stern”. Ein Kind betrachtete die Bilder darin und bekam davon ein Siegel auf die Seele. Ein Bauplatz kostete achtzigtausend Mark und ein Fertighaus mit Fundament hundertzwanzigtausend. Eine Oma hatte soviel Geld gespart. Eine Sache, die einem gefiel, nannte man «prima». Im Hochsommer neunzehnhundertsechsundsechzig stellte Giovanni fest,
daß die Dinge zwei Seiten haben. Mindestens. Es war ein Tag im August,
er ließ gerade einen Haufen trockener Erde von der Schippe rutschen,
wischte sich den Schweiß von der Stirn und eine Dreckspur drauf,
warf die Schippe aus dem Graben, in dem er arbeitete, und nahm einen
Schluck Mineralwasser aus der Flasche. Lauwarm. Der liebe Satz: ...fast zu schön um wahr zu sein. Der böse Satz: Wahrscheinlich hätte ich das Buch nicht mal zu Ende gelesen,
wenn ich mich nicht auf einer Bahnfahrt ohne Tageslicht und Lektürealternativen
befunden hätte. |
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Einsam, Zweisam, Dreisam250 Seiten, Rowohlt Taschenbuch 1987 Zum Beispiel: Der liebe Satz: ...so geistreich und frech, daß man das Buch gleich dreimal hintereinander
lesen möchte. Der böse Satz: Beziehungen müssen nicht so sein, sie können so sein. Geschichten
darüber sollten nicht so sein. |
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Eine Überdosis Liebe153 Seiten, Rowohlt Taschenbuch 1985 Die Seifenblase hat viele Bedeutungen: Sie sagt dem Kenner, der sie
von einem Fettauge unterscheiden kann, daß er diese Suppe besser
nicht probiert, weil das nämlich eine Waschbrühe ist; sie dient
dem Philosophen als Beweis, daß “Fast Nix mit einem winzigen
bißchen Wasser außenrum” schon die eigene Umgebung
reflektieren kann; sie ist dem Kind ein Ballon, ein Prinz oder eine Raumpatrouille
und dem Kunststudenten eine Möglichkeit, im Kurs “Körper
und Licht - Perspektivische Spiegelungen” ein paar Lorbeeren einzuheimsen;
der Art-Director kann sie aus Rita Hayworths Mund blubbern lassen, und
der Theaterregisseur kann sie immer als Symbol einsetzen. Egal für
was. Hauptsache Symbol. Die Dichter sind am schlechtesten dran. Sie haben
die Seifenblase zwar immer griffbereit im Metaphernarsenal, aber immer
nur zum Platzen. Blop. Der liebe Satz: Wen drastische Begriffe nicht stören, der wird mit der “Überdosis
Liebe” ein heißes Bad kalt werden lassen. Der böse Satz: Genau hinsehen will diese Sprache nicht, sie macht dicht und schottet
ab. |
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Piper Taschenbuch 2008 |
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